80 Proband*innen, 13 Biere und eine neue Landkarte

Studierende arbeiten in einem praktischen Forschungsprojekt mit der Störtebeker Braumanufaktur bei Prof. Dr. Szepannek daran, das Unmessbare messbar zu machen und ergründen multidimensionale Statistik.

Mehrere Bierflaschen sind über eine vermeintliche Karte (eigentlich nur altes Papier mit Wasserflecken) in einem Raster verteilt.
reine Illustration ...
zu sehen ist eine Ansammlung von Bierflaschen in einem Raster in zwei Dimensionen gerückt - auf der x- und der y-Achse - die Bierlandkarte.
... die eigentliche Bier-Landkarte

„Mein intrinsisches Interesse ist, mich mit dem (eigentlich) nicht Messbaren – also Geschmack – zu beschäftigen“, sagt Prof. Dr. Gero Szepannek. Unpassend für einen Professor der Statistik? – Überhaupt nicht! Durch sein spezielles Interesse an Sensometrie eröffnet der Professor für Statistik, Wirtschaftsmathematik und Machine Learning seinen Studierenden ein besonderes Feld der Statistik und das mit ganz praktischer Anwendung. Im vergangenen Semester hat Prof. Dr. Szepannek seine Kooperation mit der Störtebeker Braumanufaktur GmbH fortgesetzt. Mit den Störtebeker Brauspezialitäten konnten die Stralsunder Studierenden mithilfe ihrer Kommiliton*innen und einiger Mitarbeitender der HOST multidimensionale Statistik erproben.

 

Der Projektablauf – Wie zwei Variablen für sechs Proben eine Karte ergeben

Zwischen September 2023 und Februar 2024 verlief das Projekt für eine kleine Gruppe des Master-Studiengangs Angewandte Data Science und Künstliche Intelligenz. 80 Probanden brachten sie mit ihrem Professor via Rundmail-Aufruf gemeinsam in der Mensa zusammen, um 13 Biere aus dem umfangreichen Sortiment der Brauerei aus Stralsund zu erproben. Jeder Teilnehmende bekam 6 zufällige Proben aus den 13 Bieren und sollte sie miteinander vergleichen: Schmecken sie ähnlich oder unterschiedlich? „Und so entstand eine Landkarte der Biere, eine Ähnlichkeitsmatrix“, erklärt Prof. Dr. Szepannek, „mathematisch kann man Ähnlichkeit als Gegenteil von Distanz betrachten: Stellen wir uns Städte auf der Landkarte vor: Hamburg, Berlin, Rostock, Stralsund, Schwerin … Das sind 5 Städte und 10 Distanzen. Auf unserer Landkarte sind die Städte die Biere und die Distanzen die Ähnlichkeiten oder eben die Unterschiede“. Um die Validität des Experiments zu überprüfen, wurde der Test selbst getestet. Das Nordisch-Hell, war als sogenannter Anker doppelt im Test enthalten – und wurde von den Proband*innen auch als sehr ähnlich und damit quasi als mindestens „Nachbardorf“ erkannt. Es landete nach der Auswertung sehr nah an seinem Doppelgänger auf der Landkarte.

Ansonsten waren unter anderem ein Keller-Bier, ein Märzen, das hopfenbetonte Atlantik-Ale, zwei alkoholfreie Sorten und der kräftige Eisbock Nordik-Porter im Test – 13 Biere insgesamt, 6 pro Proband*in im Blindtest. Wie viele Distanzen gibt es dann? Wie häufig treten welche Kombinationen auf? Das haben die Studierenden teils schon vorab errechnen können. Denn auch wenn Bier-Test sich eher als Freizeit-Aspekt des Studierendenlebens assoziieren lässt, steckt hinter der Bier-Landkarte Wissenschaft.

 

Die Wissenschaft hinter dem Experiment

„Seit gut einem Jahr verwenden wir in der Brauerei den sogenannten Sorten-Kompass, bei dem wir die Biere nach Geschmacksprofilen und ihrer Intensität anordnen. Dieser sorgt in unserem umfangreichen Sortiment für Orientierung und ermöglicht dem Kunden eine einfache Entscheidungsgrundlage für die Wahl des Bieres. Durch die Untersuchung der Studenten konnten unsere Gruppierungen bestätigt werden und wir haben einen fundierten Beleg für die Wirksamkeit dieser Maßnahme“, so Aljoscha Taukel aus dem Marketing-Team bei Störtebeker.

Im vorangegangenen Sommersemester 23 hatte Prof. Dr. Szepannek auch bereits ein Kooperationsprojekt mit der Braumanufaktur als Projekt – damals für Studierende der Wirtschaftsinformatik angeboten (Ein neues Bier mit wissenschaftlichem Background - Hochschule Stralsund (hochschule-stralsund.de)). Dabei wurde verkostet und wissenschaftlich getestet, um Impulse für die Bier-Entwicklung der Brauerei zu geben. „Wir haben zum Beispiel die Probanden gefragt: Schmeckt es süß oder schmeckt es bitter“, erklärt der Professor, „das sind Attribute, die für Bier-Sommeliers ganz natürlich sind. Wir haben dann schnell gemerkt, dass manche Proband*innen damit aber gar nichts anfangen können“. Beim jetzigen Projekt wurde es einfacher für sie – der Test dadurch zuverlässiger.

Die Unterscheidung „ähnlich“ oder „unterschiedlich“ erlaubt den Einsatz des statistischen Verfahrens der multidimensionalen Skalierung. Sie ist als Methode für die Analyse von Geschmacksdaten geeignet. Die Studierenden konnten sich im Verfahren in dieses Projekt einarbeiten. „Zusätzlich haben wir uns dann auch die einige weitere Verfahren, wie Cluster- und Diskriminanzanalyse angesehen“, erklärt der Professor wie anhand des Experiments die in der Veranstaltung zu Grunde liegende Theorie vermittelt wurde. Auch die Entscheidung, wie viele Proben aus den 13 Bieren jeder bekommt, ist nicht zufällig gefallen. Dass jeder alle verkostet, war aber von vornherein ausgeschlossen. „Wenn ich in einer Parfümerie bin, dann bin ich spätestens nach dem dritten Parfum schon sensorisch überladen“, sagt Prof. Dr. Gero Szepannek – Stichwort Reizüberflutung, „zwei Biere miteinander zu vergleichen ist einfach, aber drei, vier, fünf … schon acht waren uns in einem Prätest gnadenlos zu viel“. Das hätten auch die Studierenden im Selbsttest schnell gemerkt, die Literatur über ähnliche sensometrische Versuchsaufbauten empfahl die sechs.

Die Ergebnisse des Geschmachserxperiments

... bildeten die Grundlage für die multidimensionalen Skalierung. Mithife von Matrixrechnung entstand so eine Bier-Landkarte. Die Ergebnisse wurden anschließend Störtebeker vorgestellt und die Braumanufaktur erhält einen Abschlussbericht. Bereits bei der Präsentation kam die Idee auf, die Erkenntnisse in Störtebeker Online-Shop einfließen zu lassen. Hier könnten  Kunden Brauspezialitäten empfohlen werden, die ihrem Geschmack am ehesten entsprechen. „Unterm Strich war das ein wirklich schönes Projekt – und ich denke, alle Beteiligten waren zufrieden“, attestiert der Professor.