Studium

Bulgarien, Sofia - Technische Universität Bulgarien

Aller Anfang ist schwer und holprig, doch es lohnt sich immer dranzubleiben!

Julian S., Gesundheitsökonomie (M. Sc.), 3. Semester, Bulgarien, Sofia, Technische Universität Bulgarien, Wintersemester 2022/23
Vor der Mobilität
Ein Auslandsaufenthalt hinsichtlich eines Erasmus-Semesters stand für mich bereits im Bachelorstudium fest. Da dies ein duales Studium war, hatte ich leider keine Möglichkeit meinen Traum zu erfüllen. An der Hochschule Stralsund, in meinem Master, war es mir schließlich möglich.
Nach der Zusage zum Auslandssemester im Frühjahr 2022 begann ich mich mit den Bewerbungsunterlagen zu beschäftigen. Um die Erasmus-Förderung zu bekommen, musste ich zwei Module in Sofia belegen, die ich mir in Stralsund anrechnen lassen kann. Verwirrend war, dass die Kurse, die an der TU Sofia angeboten wurden, nahezu keinerlei Parallelen mit meinem Studiengang Gesundheitsökonomie hatten (obwohl laut der Suchmaschine von ‚HOST Outgoing‘ die Kooperation zur TU Sofia die einzige Kooperation in Bulgarien ist). Nach langer Rücksprache und eMail-Verkehr mit den Verantwortlichen der HOST und der TU Sofia, konnte ich dann zwei Module anerkennen lassen. Leider war der Prozess der Bewerbung sehr nervenaufreibend und ermüdend, da ich die endgültige Zusage zur Anerkennung der Kurse und somit auch des Auslandssemesters drei Tage vor Fristende zum Einschicken der Unterlagen bei der TU Sofia bekam. Der gesamte Bewerbungsprozess dauerte also von Februar bis Mitte August. Aufgrund dessen, befand ich mich immer im Unreinen, ob ich das Auslandsemester machen kann oder nicht. Diese Unsicherheit hat mir ein wenig die Vorfreude verdorben. Schlussendlich war ich jedoch sehr glücklich, als am Ende alles geklappt hat und ich nach Bulgarien reisen konnte.
Während der Mobilität
Wohnen

In Vorbereitung meines Aufenthalts habe ich mich auf einen Platz im Wohnheim, welches der TU Sofia zugehörig war, beworben. Kurzfristig habe ich dann auch die Zusage dazu bekommen. Am Anreisetag bin ich dann direkt vom Flughafen zum Wohnheim gefahren, um mein Gepäck abzulegen und anzukommen. Man muss im Voraus klarstellen, dass man natürlich offen für Neues ist und ehrlicherweise auch nicht die besten und saubersten Verhältnisse erwartete. Trotzdem war ich offen für alles und bereit dort ein Semester zu leben. Als ich jedoch meine Wohnung betrat war ich fassungslos. Es war dreckig, an den Wänden war mehr Schimmel als Tapete, das Badezimmer war eine Zumutung und das Wasser lief nicht ab. Neben der Tatsache, dass es gesundheitsschädlich gewesen wäre ein Semester in diesem Raum zu wohnen, war ich vielmehr schockiert, dass die TU Sofia diesen Standard den Erasmus- Studenten anbietet. Leider war dies kein Einzelfall, ich hörte auch von anderen Erasmus- Studenten von ähnlichen Fällen (Kakerlaken etc.). Natürlich sah ich in dem Semester auch andere „besser“ Wohnungen, jedoch rate davon ab in Wohnheime zu gehen, sondern empfehle direkt im Internet und Facebookgruppen nach privaten Wohnungen suchen. Ich buchte mir also für zwei Tage ein Hotel und suchte nach einer bewohnbaren Wohnung. Glücklicherweise fand ich direkt eine gute Wohnung in Zentrum-Nähe. Diese war natürlich teurer als der Wohnheimplatz, jedoch hatte ich dort einen Kühlschrank, eine Waschmaschine, WLAN und Kochmöglichkeiten.
Studium
Das Studium an der TU Sofia war sehr interessant. Die Universität liegt ca. 30 min Busfahrt entfernt vom Stadtzentrum im Studentenviertel „Studenskigrad“ (Europas größtes Studentenviertel mit rund 30.000 dort wohnenden Studenten.) Ich belegte einen Kurs für bulgarisches Handelsrecht und einen Kurs für Finanzmanagement. Beide Themengebiete wurden von kompetenten Dozenten präsentiert und die Abschlussklausuren waren mit guter Vorbereitung auch sehr gut machbar. Auch zu Beginn des Auslandsaufenthalts habe ich hervorragende Hilfe und Orientierung von der Vizepräsidentin der TU Sofia bekommen. Sie führte mich sowohl auf dem Gelände als auch in der Stadt herum und war immer offen zur Beantwortung eventueller Fragen. Ich durfte am Ende des Semesters auch ein Interview geben, da ich der erste Erasmus-Student an der Fakultät war. Alles in allem sehr nettes, kompetentes Personal, welches oftmals auch sehr gut deutsch sprechen konnte.

Leben
Am Tag:
Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase von einer Woche lernte man die Stadt und die Menschen lieben. Noch nie sah ich eine Stadt in der so viele Kirchen verschiedener Glaubensrichtung so eng aneinander stehen. Da Sofia keine wirkliche Altstadt hat, spielt sich das meiste direkt im Zentrum ab. Moderne Regierungsgebäude stehen neben alten und grauen Plattenbauten und direkt daneben kann man in einer hochmodernen Mall shoppen gehen. Die Stadt ist also unglaublich facettenreich und man gewöhnt sehr schnell an das Leben dort. Auch wenn die öffentlichen Verkehrsmittel sehr alt aussehen, ist das Fahrscheinsystem moderner als in Deutschland. Man hält einfach seine Kreditkarte an ein Scangerät in der Bahn, Bus, Metro etc. und hat somit einen Fahrschein. Positiv fällt die Sauberkeit der Stadt auf. Man sieht immer wieder (hauptsächlich) Frauen, die mit Strohbesen die Straßen säubern.
Eine Sache an die man sich sehr schnell gewöhnt, sind die Preise in Bulgarien. Diese betragen im Durchschnitt die Hälfte der deutschen Preise. Der günstige Lebensstandard macht es möglich, viel von dem Land zu sehen. Die Lage Bulgariens ist auch generell super, um andere Balkanländer zu besuchen. Insgesamt habe ich in meinem Semester 9 Länder bereist und unfassbar viele Städte gesehen, Menschen kennengelernt und Naturerlebnisse genossen. Das einzige Ziel, welches ich nicht erfüllen konnte war eine Reise nach Istanbul (8h Bus/Zug von Sofia). Insgesamt also eine absolute Empfehlung, wenn man Natur liebt aber auch offen für neue „ärmere“ Länder ist. Besonders beeindruckend ist der Vitosha Mountain, welcher direkt vor Sofia liegt und im Winter sehr beliebtes Skigebiet ist und im Rest des Jahres wunderbare Möglichkeiten zum Wandern bietet.
Bei Nacht:
Gefühlt ist Sofia eine Stadt, die nie schläft. Im Zentrum findest du zahlreiche Bars, die zu größtenteils sehr günstigen Preisen gute Drinks verkaufen und darüber hinaus für angenehme Atmosphäre sorgen. Es ist für jeden etwas dabei. Karaokebars, Sportbars, Irish Pubs aber auch ganz normale Bars, in denen man sich einfach unterhalten kann. Eine ganz besondere Art von Bar sind die sogenannten „Speakeasy Bars“. Motto dieser Bars ist die amerikanische Prohibition bei der im 20. Jahrhundert der Besitz, Konsum und Handel mit Alkohol verboten war. Damals hatten die Bars auf jedem Tisch eine Badewanne stehen, damit sie jegliche Alkoholgetränke wegschütten konnten, sollte die Polizei die Bar betreten. Diesen amerikanischen Bars sind die bulgarischen Speakeasy Bars nachempfunden. Der Besuch ist ein wahres Erlebnis, da es schwer ist diese Bars zu finde, weil man sie häufig per Google Maps nicht suchen kann. Hat man sie gefunden befindet man sich nach dem Türöffnen in einem kleinen Raum mit Bücherregalen. Nun muss man das passende Buch finde, daran ziehen und dann öffnet sich die Tür zu Bar – eine echte Empfehlung. Möchte man feiern, kann man dies entweder in zahlreichen Clubs im Zentrum machen oder man fährt nach Studenskigrad. Studenskigrad ist zwar das Studentenvierte, jedoch ist es auch ein Kosmos für sich, bei dem Restaurants, Bars und Clubs 24/7 offen haben. Stark begeistert war ich auch von dem Erasmus-Student-Network (ESN), bestehend aus freiwilligen bulgarischen Studenten, die verschiedenste Events für die Erasmus-Studenten organisieren. Ob es sich um Stadttouren, Kneipentouren oder aber mehrtägige Trips quer durch das ganze Land handelt. Sehr engagiert und organisiert.
Fazit
Abschließend blicke ich voller Freude auf mein Erasmus-Semester zurück. Ich konnte viele tolle Menschen kennenlernen, woraus sich auch Freundschaften gebildet haben. Ich habe unfassbar viel von Bulgarien, aber auch den umliegenden Balkanstaaten gesehen. Trotz des sehr holprigen Starts bin ich überaus froh diese Erfahrung gemacht zu haben und würde es immer wieder so machen.
Bulgarien ist in meinen Augen ein sehr unterbewertetes Land aus Sicht vieler Deutscher, mit denen ich gesprochen habe. Ich kann nur jedem ausdrücklich meine Empfehlung aussprechen, ein Auslandssemester zu machen und dieses in Bulgarien/Sofia! Es war für mich in jeglicher Hinsicht eine Bereicherung.