Große Anstöße für die Energiewende aus der Hochschule


Von den Grundsteinen des Institutes für Regenerative EnergieSysteme bis zu aktuellen Herausforderungen für die verdienten Wasserstoff-Experten der HOST

Am 14. Januar 2009 ist an der Hochschule Stralsund von mehr als 30 Wissenschaftler*innen das Institut für Regenerative EnergieSysteme (IRES) gegründet worden. Es strukturiert das gemeinsame Engagement in angewandter Forschung und praxisnaher Lehre auf dem Gebiet der Nutzung erneuerbarer Energiequellen und der Wasserstofftechnologie an der Hochschule Stralsund. Drei Persönlichkeiten, die eng mit dem IRES und dessen Gründung und Fortführung verknüpft sind, sind Prof. Dr. Jochen Lehmann, Mitbegründer des Instituts, Prof. Dr. Thomas Luschtinetz, Leiter von 2009 bis 2019 sowie Prof. Dr. Johannes Gulden, der 2019 die Leitung des IRES übernommen hat. Im Interview berichten sie von den Impulsen, die zur Gründung führten, Forschungsschwerpunkten und geben Einblick in zukünftige Entwicklungen.

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Das IRES gibt es seit 2009. Die Forschung und Lehre zu Erneuerbaren Energiequellen und Wasserstofftechnologien hat aber eine längere Tradition an der Hochschule. Welche Impulse führten zur Gründung, welche Geschichte verbirgt sich dahinter?

Prof. Dr. Lehmann: Ich war vor der Wende bei der Ingenieurhochschule für Seefahrt Warnemünde - Wustrow (IHS) [ab 1989 Hochschule für Seefahrt Warnemünde - Wustrow (HfS)]. Ich hatte dort das riesen Glück in eine Wasserstoffgruppe reinzukommen. Am 10. Oktober 1989 wurde in Wustrow das erste konventionelle Windrad in Betrieb genommen. Ich war mit einem Kumpel unterwegs und hatte den Hund an der Leine, das Windrad machte Klick-Klick-Klick. Und er sagte: „Nun haben wir schon unseren eigenen Strom [auf der Halbinsel Wustrow], jetzt brauchen wir nur noch eine Brauerei, um unabhängig zu sei.“ Und ich fragte: „Und wenn Flaute ist?“ und dachte an den Windstrom. Darauf er: „Dann habe ich noch was in der Kellerkammer“ - und meinte das Bier. Aber da hat es bei mir Klick gemacht, dass es einen Speicher braucht, und wie der aussehen könnte habe ich auch gleich gewusst: Es konnte nur ein Wasserstoffspeicher sein. Die Elektrolyse war längst erfunden und einzig grüner Wasserstoff ist als sauberes Speichermedium und im größten Maßstab für die Netzstabilisierung die einzige Möglichkeit.

Prof. Dr. Luschtinetz: Und dann hast du 1991 an der Fachhochschule Stralsund angefangen als Gründungsprofessor für Physik. Im Kollegium gab es die Frage nach den Forschungsschwerpunkten. Und du hast das Thema „Wasserstoff“ in den Ring geworfen und hattest eine konkrete Vorstellung, was wir alles aufbauen müssten. Ich habe das gerne unterstützt. Mikrosystemtechnik und andere Technologien waren im Westen damals schon ziemlich etabliert, da wären wir hinterhergelaufen, aber Wasserstoffspeicher … [1992 wurde dann das Labor errichtet.]

Prof. Lehmann: Ja, da waren wir wirklich Vorreiter. Es gab, als wir hier angefangen haben, ein Projekt im Westen. Da wurde der Wasserstoff per Elektrolyse mit PV-Strom erzeugt, aber die Speicherung und Rückverstromung des Wasserstoffs für die Sicherstellung der Netzstabilität war seinerzeit noch kein Thema.

Prof. Dr. Johannes Gulden: So ist das als Forschungsthema nach Stralsund gekommen. Mich beeindruckt immer noch, dass ihr damals mitten auf dem Campus ein Windrad errichten durftet.

Prof. Dr. Lehmann: Es war in dieser Region offensichtlich, dass sich hier in Zukunft sehr viele Windräder drehen werden und eine Ausbildung in diese Richtung sich lohnen würde.

Prof. Dr. Luschtinetz: Auf einer Bierdeckelskizze 1992 hast du die Grundversorgung aufgezeichnet, und bei dieser Grundidee ist es eigentlich geblieben.

Im Hintergrund stand: Eine Fachhochschule bildet Ingenieure für den Industrieeinsatz aus – damit war es sinnvoll hier auch ein Labor zu haben, wo solche Anlagen in größerem Maßstab stehen. Da war das schon eine sehr gute Größenordnung, für die ihr euch entschieden habt. Man kann das nicht mit Spielzeug auf dem Tisch vermitteln.

Prof. Dr.Lehmann: Nein, es muss echt sein.

Ur-Skizze des Komplexlabors Alternative Energie, Februar 1992

Prof. Luschtinetz: Ja und das war der entscheidende Gedanke, wenn du das mit anderen Hochschulen vergleichst.

Prof. Dr. Lehmann: Ja, einer davon...

Prof. Dr. Gulden: Selbst als ich 2012 wieder zurück nach Stralsund kam und hier angefangen habe, war es noch die einzige Fachhochschule, das einzige Energielabor mit einem eigenen Windrad.

Herstellung grünen Wasserstoffs und seine Speicherung hiner Haus 7, 1996

Welche sind Errungenschaften durch das IRES in seinen frühen Jahren?

Prof. Dr. Lehmann: Wir sind die ersten gewesen, die auf eine Vergleichmäßigung des fluktuierenden erneuerbaren Stroms im Netz hingearbeitet haben. Wir konnten dafür ein 100kW Windrad, einen Elektrolyseur [30 kW] und Wasserstoffspeicher, ein Blockheizkraftwerk [40 kW] und andere aufeinander aufbauende Anlagen errichten.

Prof. Dr. Gulden: Das was heute politisch en vogue ist, das habt ihr voraus gesehen. Das ist hier Mitte der 90er Jahre realisiert und auch zur Fachkräfteausbildung konsequent weiterentwickelt worden.


Wie hat sich das Institut in den letzten Jahren gewandelt, welche neuen Wege hat es vielleicht eingeschlagen und warum?

Prof. Dr. Lehmann: Der Weg hat sich nicht geändert, denn das Ziel ist ja das gleiche geblieben.

Prof. Dr. Gulden: Der Wandel ist, dass wir weniger die Demonstration der Grundlagen, sondern mehr und mehr die Umsetzung und die politische Akzeptanz als Aufgabe und Herausforderung sehen. Trotzdem sind wir bei der technischen Weiterentwicklung immer noch ganz vorne mit dabei.


Was ist aus Ihrer Warte der größte Mehrwert, den das IRES den Studierenden bietet?

Prof. Dr. Gulden: Die praktische Ausbildung, dass die Studierenden wirklich etwas zum Anfassen haben. Thomas, wann habt ihr damals eigentlich mit dem ThaiGer-Projekt begonnen?

Prof. Dr. Luschtinetz: Ich habe das Komplexlabor ja hier 2006 übernommen, und dann war eine Überlegung: Wie können wir den Studierenden das näher bringen? Nachdem wir ein Jahr mit einem Wasserstoff-Truck und anderen Modellen operiert haben, haben wir den ersten ThaiGer Wasserstoff-Rennwagen gebaut und sind beim Shell-Eco-Marathon erstmal nur 300 Meter weit gekommen [der 16km-Strecke]. (lacht) Nachdem ein italienisches Rennteam [aus Turin] mehrfach gesiegt hat, konnten wir ihnen den ersten Platz 2017 zum ersten Mal abjagen. Das hat aber zehn Jahre gedauert. Dass wir wirklich mal an der Spitze mitfahren und das jetzt sogar drei Jahre nacheinander, hätten wir uns nie träumen lassen. Damit haben wir den Studierenden auch eine Identifikationsplattform geschaffen.

Wichtig war auch, in Richtung Industrie ein Projekt wie das Hybrid-Kraftwerk [Enertrag Hybridkraftwerk in Dauerthal, Inbetriebnahme 2011] zu begleiten.

Prof. Dr. Johannes Gulden: Aus meiner Sicht ist der größte Mehrwert wirklich, dass wir den Studierenden mit dieser wirtschaftsnahen Forschung und Entwicklung eine praktische Spielwiese anbieten können, die sich nicht nur auf ThaiGer, Golf-Caddy und Wasserstoff-Trucks beschränkt, sondern ihnen die Möglichkeit gibt, mit ihren Projekt- und Abschlussarbeiten in aktuelle Forschungsthemen hinein zu schnuppern.


Welche Spuren hat das IRES hinterlassen, und welche Ziele gibt es für die Zukunft?

Prof. Dr. Lehmann: Die Idee hinter dem Labor ist für das, was wir Energiewende nennen, nicht wegzudenken. Und es gibt ja kaum etwas in unserem Gesichtsfeld, das ohne Wasserstoff hergestellt wird – vom Schießpulver bis zur Plaste.

Prof. Dr. Gulden: Aber das ist eben alles Wasserstoff, der im Moment noch aus fossilen Energieträgern kommt, und den wollen wir ja substituieren. Und das ist etwas, das wir hier vor Ort auch mitandenken. Unter anderem haben wir darum mit HyStarter [HyStarter-Region Rügen-Stralsund] die Region in einem Prozess begleitet, in dem in Zusammenarbeit mit verschiedenen Playern eine regionale Wasserstoffwirtschaft aufgebaut werden soll.

Prof. Dr. Luschtinetz: Wir hatten ja sogar schon vor über 20 Jahren die Wasserstoff-Technologie-Initiative (WTI) in Stralsund gegründet - das war ein Meilenstein! Einzelne Pionier-Unternehmen haben damals bereits angefangen zu investieren. Aber der Hochlauf des Wasserstoffs kam seinerzeit nicht in Gang, weil er einfach noch zu teuer war und das Bewusstsein für die Energiewende – mit Photovoltaik und Wind – erstmal geweckt werden musste. Dabei hat doch die Wasserstoffwirtschaft in MV das Potenzial, 2050 die Hälfte bis zur gesamten Größenordnung der Bruttowertschöpfung des Schiffbausektors zu erreichen, die wir derzeit haben.

Als du 2006 in Rente gegangen bist [blickt zu Lehmann], habe ich gesagt: „Das muss weitergehen!“ Mit der Konferenz [REGWA Symposium] und der Spring School, dieses Jahr beide schon im 28. Jahr, hatten und haben wir zwei Formate, die einfach weltweit ausgestrahlt haben. Wir haben sehr gute Kontakte aufbauen können.

Prof. Dr. Lehmann: Internationale Verbindungen, sowas hat uns auch viel geholfen. Wir haben lange Studentenaustausch gehabt, in sehr früher Zeit. Wir haben uns international wirklich Mühe gegeben.

Prof. Dr. Gulden: Das ist auch das, was wir in den nächsten Jahren weiterführen und intensivieren wollen – nämlich die Umsetzung der Idee - die hier in der Nähe [in Wustrow] ihren gedanklichen ersten Ursprung und hier [in Stralsund] ihren technischen Ursprung hatte, die die Region jetzt auch ein Stück geformt hat - international zu verbreiten. Da habt ihr die Verbindung Richtung Südamerika und Thailand aufgebaut, und zukünftig sollen noch weitere Länder hinzukommen. Wir wollen hoffentlich aus Stralsund heraus auch dort den einen oder anderen Impuls geben können. Hier am Standort selber soll es natürlich weiterhin darum gehen, auch bei aktuellen Themen dabei zu sein. Wir haben jetzt beim Methanol bewiesen, dass wir einen sehr guten Riecher hatten für das, was im Moment in der wissenschaftlichen Diskussion ist. Zukünftig alles zu erhalten und nur weiterzuführen reicht natürlich nicht. Aber allein das ist eine Mammutaufgabe, der wir uns gern stellen wollen, dabei jedoch immer mit der Maßgabe, aktuelle Themen mitanzuschneiden. So ist zum Beispiel das Zusammenspiel des gesamten regenerativen Energiesystems zu betrachten, welches eben nicht nur aus dem Stromsektor besteht, sondern dass wir auch im Wärme- und Mobilitätssektor erneuerbare Energien nutzen müssen. Denn unsere Energiewende ist ja im Moment eher eine Stromwende.  Darum müssen wir den grünen Wasserstoff, den ihr ursprünglich als Energiespeicher gesehen habt, ganz wichtig auch für die stoffliche Nutzung in der Industrie unterbringen. Darüber kann die Energiewende als Ganzes gelingen, und das würden wir aus Stralsund gern mitgestalten.

v.l.n.r.: Prof. Dr. Gulden, Prof. Dr. Luschtinetz und Prof. Dr. Lehmann