Studierender entwickelt Assistenzgerät für Sehbehinderte

Mit Ultraschallsensoren und kleinen Motoren werden Hindernisse erfasst und der Träger des Geräts über diese Hindernisse informiert. Dozent unterstützt beim Bau des Prototypen. Ideenwettbewerb erkennt Potenziale.

ein lächelnder junger Mann, Mustafa Rahmati, hält einen kleinen grauen Kasten mit vier lautsprecherähnlichen Sensoren und roten Kabeln
Praktikantin Svenja testet Viz-Touch von Mustafa Rahmati, rechts im Bild - Sven Klimaschewski.

Virtual Reality oder auch Augmented Reality kann Mustafa Rahmati privat wenig abgewinnen. „Aber die Technologie fand ich hoch spannend – Das kann man doch einsetzen, um Menschen zu unterstützen, statt es nur im Entertainmentbereich zu verwenden“, sagt der 23-jährige Student der Hochschule Stralsund. Vor etwa drei Jahren wuchs seine Idee: Ein Assistenzgerät für Blinde, das via Ultraschall Hindernisse in der Umgebung erkennt und einen Vibrationsimpuls und Ton an die Hand abgibt, um darüber zu informieren – ein Patent zwischen Einparkhilfe und Blindenstock. Der erste Prototyp ist schon gebaut, denn in seinem Dozenten Sven Klimaschewski fand Mustafa Rahmati einen Fürsprecher und Unterstützer.

Die Zusammenarbeit: Der Weg zum Prototypen

Mustafa studiert den Bachelorstudiengang Smart Production an der Fakultät für Maschinenbau, mittlerweile im sechsten Semester. „Ich komme aus München und bin für den Studiengang hergekommen“, berichtet er. Ein Umzug über solch eine Distanz? – „Ich wollte meine Komfortzone verlassen.“ Diese Motivation, sich weiterzuentwickeln, überhaupt Dinge weiterzuentwickeln, zeigt sich auch in seinem Studierendenleben.

Über einen Kurs (den 3D CAD-Aufbaukurs) kannte Mustafa Sven Klimascheswki schon und entschied, seine Projektarbeit in wissenschaftlichem Arbeiten und Präsentieren bei ihm zu schreiben – über seine Erfindung, das Assistenzgerät. Doch sein Dozent will mehr als Theorie, gerade in diesem Fall. „Auch wenn es in dem Modul darum geht, dass Studierende nachweisen, dass sie in der Lage sind, wissenschaftliche Abhandlungen zu verfassen, sind wir hier im Maschinenbau“, sagt Sven Klimaschewski, „es gibt aufgrund der sehr gut ausgestatteten Labore, wie es beispielsweise das Labor für additive Fertigung und digital Produktentwicklung ist, die Möglichkeit, Prototypen zu entwickeln und solch einen wollte ich bei diesem Projekt sehen.“

Dafür musste er Mustafa Rahmati nicht lange überreden. Seine Idee sollte nie eine für die Schublade sein, nichts „für später“. Er hat beständig daran gearbeitet.

Funktionsweise

Das von Mustafa Viz-Touch genannte System wird um den Hals getragen. Sensoren am Gerät erfassen das Umfeld dreidimensional. Diese Informationen werden verarbeitet und von Touch-Pixeln an den Nutzer ausgegeben. Diese Touch-Pixel sind kleine Motoren (beziehungsweise Aktoren), die taktile Sinnesreize unterschiedlicher Amplitude und Frequenz auf der Haut des Trägers erzeugen können – In der Umsetzung vibrieren sie erst leicht und wenn der Abstand zum Hindernis geringer wird, immer stärker. Um das zu erreichen hat Mustafa Ultraschallsensoren verbaut. Ein Schallimpuls im Ultraschallbereich wird von einem Transmitter emittiert. Das Schallsignal wird dann an einer Oberfläche zurückreflektiert und wieder von einem Receiver (Mikrofon) aufgenommen. Durch die zeitliche Diskrepanz zwischen dem Ausgangssignal (Trigger-Signal) und Eingangssignal (Echo-Signal) kann unter Einbeziehung der Schallgeschwindigkeit die Distanz zwischen Sensor und der Oberfläche ausgerechnet werden. Für die Touch-Pixel, die letztlich das Signal an den Nutzer geben, hat er Vibrationsscheibenmotoren ausgewählt. „Diese können mit unterschiedlicher Intensität vibrieren und sind zudem kostengünstig, kompakt und haben eine geringe Leistungsaufnahme“, erklärt der Student. Zudem erzeugt das Gerät kurz vor einem Zusammenstoß ein Warngeräusch. Zur Stromversorgung reicht schon eine kostengünstige 9V-Blockbatterie.

Ergebnis und Optionen: Der fertige Prototyp

… ist rund 13 Zentimeter breit, 11 lang und 2,5 hoch. Er wiegt gerade mal 215 Gramm und hat eine Reichweite von drei Metern. 34 Euro Materialkosten benötigt der Prototyp. Noch funktioniert er nur für Hindernisse auf Körpermitte, der Abstrahlwinkel liegt bei 15 Grad. „Aber es ist vieles möglich“, sagt Mustafa Rahmati, „es ist eben ein Prototyp; macht man das professionell, kann man die Kosten noch senken, das ganze Gerät in seiner Größe auf ein Viertel reduzieren und es dann eventuell unter einer Mütze tragen oder Ähnliches“. Auch die Reichweite der Sensoren ließe sich erhöhen. „Und die Impulse könnte man auf einen Handschuh oder eine Weste übertragen, über den man sich ein Raster mit Hindernissen vorstellen könnte.“ Durch die Verwendung von mehreren Touch-Pixeln, angeordnet in einer Matrix, könnte ein zweidimensionales haptisches Bild erzeugt werden. Zusätzlich könnte durch die Variabilität der Amplitude und oder der Frequenz ein haptisches Bild mit Tiefe erzeugt werden, welches die Umgebung wiedergibt.

Die jetzigen Bauteile sollten kostengünstig – also an der Fakultät verfügbar sein. Sie stammen aus verschiedenen Laboren der Fakultät. „Mustafa hat laborübergreifend und interdisziplinär gearbeitet. Die Entwicklung seines Viz-Touch umfasst Elemente der Messtechnik, der Informatik, der additiven Fertigung und der Elektrotechnik. Im Zuge des Baus hat er Ideen aufgezeigt, wir haben sie gemeinsam verfeinert und Lösungsansätze erarbeitet“, sagt Sven Klimaschewski. „Er hat es zum Teil besser umgesetzt, als ich es mir vorgestellt habe.“

Übrigens: Auch im Tierreich wird Ultraschall zur Orientierung genutzt, besonders ausgeprägt ist die Fähigkeit der so genannten Echoortung bei Fledermäusen. Die Tiere senden Schallwellen aus, nehmen dann ihr Echo auf und werten es aus.

Bilanz …

„Das Geniale an Mustafas Idee und seinem Viz-Touch ist noch nicht mal die Technik, sondern der Gedanke dahinter“, bilanziert Sven Klimaschewski. In Mustafas Familie gibt es keine Erblindeten, auch er selbst hat bis auf eine kleine Sehschwäche keine Beeinträchtigung, dennoch arbeitet er leidenschaftlich am Assistenzgerät, versucht sich in Betroffene hineinzuversetzen: Ab wann sollte das Gerät vibrieren, was stört vielleicht mehr als es hilft? Wie „unsichtbar“ muss das Gerät sein, gerade wenn es „nur“ eine Assistenz für vorübergehend Sehbeeinträchtigte oder gerade Erblindende in Folge einer anderen Erkrankung ist? – Dieses Engagement ist bereits beim Wettbewerb „inspired-Der Ideenwettbewerb. In MV.“ gewürdigt worden. Mit Viz-Touch hatte Mustafa sich bis auf Landesebene vorgekämpft und wurde für die sozialste und innovativste Idee prämiert. „Es sind Ideen, wie diese, die uns auch stolz machen“, sagt Marie Büchler von der Hochschule Stralsund, die den Wettbewerb seit Jahren mitorganisiert, „wir haben begabte Studierende, mit großartigen Ideen, die das Leben in unserer Gesellschaft verbessern können“.