Neuronale Netze, Biogas und KI

Die Vielseitigkeit in der Informatik an der Hochschule Stralsund

Für Prof. Dr. Christine Wahmkow ist die Hochschule Stralsund (HOST)mehr als ein Arbeitsplatz. Die Professorin der Fakultät für Maschinenbau, Lehrgebiet Informatik, fühlt sich als solche im besten Sinne berufen, sie lehrt und forscht an der HOST – mit Leidenschaft. Wie ihr die Forschung an der HOST gelingt, welche großen Themen sie bearbeitet hat und wie sich der Zugang zu diesen eröffnete, das erklärt sie im Folgenden.

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Ich bin seit fast 30 Jahren an der Hochschule beschäftigt. Ich sehe die Einheit zwischen Lehre und Forschung als Pflicht und Kür. Die sehr hohe Lehrbelastung der Pflicht muss man einfach mögen und dafür geschaffen sein. Dafür ist man im wahrsten Sinne des Wortes berufen. Die Kür der Forschung kann jeder ausgestalten, wie er oder sie möchte.

Ein Start voller Motivation

Ich bin kurz nach meiner Promotion an die Hochschule berufen worden, war natürlich voller Motivation, meine Ideen der Expertensysteme für die technologischen Bereiche der Industrie weiter zu verfolgen. Relativ neu war damals regierungsseitig der Wille zur Stärkung der Forschung an Fachhochschulen. Unser damaliges Kultusministerium rief zu Forschungsanträgen im Rahmen eines entsprechenden Programmes auf und ich erhielt den Zuschlag für eine erste Förderung von 1997 bis 1999. Inhalt war die Anwendung der Fuzzy logic auf Systeme in der Lagerverwaltung. Kaum waren die zwei Jahre um, hatten wir unser Ziel, die Entwicklung von entsprechenden Algorithmen, weitgehend verwirklicht und in einer Modellwerkstatt getestet. Ein TEAM99-Projekt, ebenfalls vom Land gefördert, lief von 1999 bis 2000 für ein Jahr. TEAM bedeutet Kooperation mit einem Unternehmen. Die aus dem vorhergehenden Projekt entwickelten Algorithmen konnten jetzt mit einer realen Datenbasis eines regionalen Unternehmens getestet werden.

Neuronale Netze in der Fahrzeugtechnik

Von meinem Aufenthalt in Berkeley bei Prof. Lotfi Zadeh für vier Monate im Jahr 2004 kam ich motiviert zurück. Durch unseren Fahrzeugtechniker, meinen Kollegen Prof. Dr. Peter Roßmanek und seine Affinität zu Australien, ergab sich eine Zusammenarbeit mit einer tasmanischen Universität, die neuronale Netze in der Technik anwendete. Für uns ein interessantes Thema: Neuronale Netze in der Fahrzeugtechnik. Ein neuronales Netz adaptiert die technischen Einstellungen am Fahrzeug nach Fahrverhalten und äußerlichen Gegebenheiten. Wir haben das für den Bruchteil eines Dämpfers am Mountainbike auch hinbekommen, wollten das ausbauen und stellten zirka 2005 einen Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft für eine dreijährige Förderung für mindestens zwei Mitarbeiter. Das hat leider nicht geklappt. Aber interessante Diplom- und Projektarbeiten sind aus den Themen hervorgegangen. Zu damaliger Zeit existierte noch nicht die Technik, um Neuronale Netze in Echtzeit auf rechenintensive Prozesse anzuwenden.

Neue Impulse und mehrere Forschungsanträge

Zu der Zeit stellte die Hochschule einen Forschungsberater ein, der auch bei mir vorbeischaute und fragte, was ich eigentlich forschungsseitig so mache. Nach unseren Erfahrungen mit „schnellen“ Echtzeitsystemen auf Grundlage Neuronaler Netze stellte ich in den Raum, dass ich langsame Prozesse suche, die mittels Softcomputing gesteuert werden können. „Ihnen kann geholfen werden!“ war die Aussage des Beraters. Er führte mich in die Biogasbranche ein und hatte auch gleich einen motivierten Anlagenbauer aus der Region an der Hand, der das Thema interessant fand. Ab dieser Zeit ging es richtig los. Mehrere Forschungsanträge habe ich auf Anhieb durchbekommen – zum Programm „Förderung der Erhöhung der INNOvationskompetenz mittelständischer Unternehmen“ (PRO INNO II), zum Förderprogramm der TBI Technologie-Beratungs-Institut GmbH und zum Programm „Forschung an Fachhochschulen mit Unternehmen“ (FHprofUnt) vom Bundesfinanzministerium, das war die lukrativste Förderung. Die Forschungsprojekte hatten eine Laufzeit von bis zu drei Jahren, ausreichend Mittel für studentische Hilfskräfte wurden kalkuliert und jeweils mindestens zwei Mitarbeiter beschäftigt. Eine Erfahrung der letzten Jahre war, dass nur durch möglichst tägliche intensive Diskussionen in Forschungsgruppen ein Projekt erst richtig ins Rollen kommt und man das Wachstum bei allen beteiligten Personen bei der Entwicklung auch spürt.

Unser eigener Versuchsfermenter, integriert auf dem Gelände einer industriellen Anlage
Unser Projektteam 2011
Die Steuerung des Versuchsfermenters

Projekt- und Abschlussarbeiten zeugen von Forschungsergebnissen

Viele Projekt-, Diplom-, Bachelor- und Masterarbeiten, eine Dissertation und das knappe Vorbeischrammen am Innovationspreis der Biogasbranche im Jahr 2016 sind die greifbaren Ergebnisse. Auf nationalen und internationalen Tagungen haben wir uns eingebracht. Forscher anderer Einrichtungen nutzen unsere Ergebnisse (researchgate). Viele schöne Erinnerungen, Diskussionen und Erfahrungen sind geblieben. Wir konnten einen kleinen Beitrag zur Weiterentwicklung der Biogasbranche und der Anwendung der wirklich hippen Technik, der Neuronalen Netze, leisten.

Nach dem langjährigen Ausflug in die Biogasbranche wollte ich zum eigentlichen Maschinenbau zurückkehren. Kleine Projekte zur Anwendung der Künstlichen Intelligenz (KI) sind gefolgt, so

  • das Lippenlesen mittels KI und das erstmalige Anwenden der seit ein paar Jahren neuen verfügbaren Tools wie Tensorflow, Keras und vieles mehr basierend auf der modernen Programmiersprache Python
  • die Wirkstoffidentifikation mittels Neuronaler Netze – eine Zusammenarbeit mit der Uni Greifswald, dem Institut für Mikrobiologie
  • KI in der Fertigung und die Integration in Industrie 4.0, um Verschleißparameter für moderne Werkstoffe zu ermitteln sind aktuelle Projekte